Das saarländische Oberlandesgericht (OLG) legt dem Bundesgerichtshof (BGH) die Rechtsfrage vor, ob es das Recht auf ein faires Verfahren verletzt, wenn Blitzer keine Rohmessdaten speichern, mit denen Betroffene Bußgeldbescheide angreifen könnten.
Um sich gegen einen Bußgeldbescheid zu wehren, können Betroffene die Daten des Messgeräts herausverlangen. Von vielen Blitzern werden diese allerdings gar nicht gespeichert, sondern nach Errechnung des Geschwindigkeitswertes gelöscht, wodurch es auch nicht möglich ist, die Daten im Nachhinein zu (über)prüfen. Ob hierin eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt, muss der BGH nun beantworten, denn das OLG hat ihm diese Frage zur Entscheidung vorgelegt (Beschl. v. 14.04.2025, Az. 1 Ss (OWi) 112/24).
Hintergrund ist ein Urteil des Amtsgerichts St. Ingbert: Ein Mann wurde außerhalb der geschlossenen Ortschaft mit 35 km/h zu viel geblitzt und zu einer Geldbuße in Höhe von 250 Euro verurteilt. Als Grundlage diente die Geschwindigkeitsmessung mittels standardisiertem Messverfahren, das eine Geschwindigkeitsüberschreitung nachwies. Hiergegen wehrte sich der Mann mit einer Rechtsbeschwerde vor dem saarländischen OLG, da er durch die Entscheidung sein Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sieht: Der Blitzer speichere keine Rohdaten, daher sei es dem Autofahrer nicht möglich, das Messergebnis nachzuprüfen.
Bislang ist die Frage, ob Blitzer Rohmessdaten speichern müssen, damit Betroffene ihre Bußgeldbescheide angreifen können, höchstrichterlich noch nicht entschieden. Das Bundesverfassungsgericht hat drei Verfassungsbeschwerden, die zur Beantwortung dieser Frage führen könnten, nicht zur Entscheidung angenommen. In einem Beschluss gab das BVerfG zumindest an, dass betroffene Verkehrsteilnehmer keinen Anspruch darauf hätten, dass Behörden nur solche Geräte nutzen, die Rohmessdaten speichern.
Wie bereits festgestellt muss Betroffenen der Zugang zu Rohmessdaten gewährt werden, wenn diese gespeichert und vorhanden sind. Die Oberlandesgerichte sind sich außerdem darüber einig, dass die Verwertbarkeit von Messergebnissen nicht davon abhängt, ob diese nachträglich überprüfbar sind. Die Verfassungsgerichte anderer Länder, beispielsweise Rheinland-Pfalz, stimmen im Argument, dass sich aus dem Prinzip der Waffengleichheit kein Recht auf Schaffung neuer Beweismittel ableiten lässt, ebenfalls überein – zumal die standardisierten Messverfahren die Richtigkeit ihrer Messergebnisse aufgrund der strengen Vorgaben in hohem Maße gewährleisten.
Nur der saarländische Verfassungsgerichtshof (VerfGH) weicht ab. Im Juli 2019 urteilte er, dass Messergebnisse von Blitzern, die keine Rohmessdaten speichern und daher nicht überprüfbar sind, nicht verwertet werden dürfen. Betroffenen sei in solchen Fällen eine effektive Verteidigung nicht möglich. Daher fehle es auch an einem fairen Verfahren, wenn ein Urteil gleichwohl auf die Ergebnisse solcher Blitzer gestützt wird. Es zähle zu den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verurteilung von Bürgern, dass sie die tatsächlichen Grundlagen dieser zur Kenntnis nehmen, an ihnen zweifeln können und sie nachprüfen dürfen, so der Verfassungsgerichtshof.
An diese Entscheidung des VerfGH ist das saarländische OLG gebunden. Wenn es nun entsprechend dieser Argumentation urteilt und die Entscheidung des AG St. Ingbert aufhebt, weicht es wiederum von der vorherrschenden OLG-Rechtsprechung ab. Daher hat das OLG den Fall dem BGH vorgelegt (vgl. § 121 Abs. 2 GVG). Konkret muss dieser sich also mit der Frage beschäftigen, ob Messergebnisse von Blitzern, die Rohmessdaten nicht dauerhaft speichern, im Verfahren verwertet werden dürfen, wenn keine anderen Verteidigungsmittel zur Verfügung stehen und der Betroffene einer Verwertung im Verfahren widerspricht.
Das Ergebnis ist auch für die Realität hochinteressant: Würde sich der BGH dem saarländischen VerfGH anschließen und die gestellte Frage mit „Nein“ beantworten, müssten wohl eine Vielzahl von Blitzern auf den deutschen Straßen ausgetauscht werden.