Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich jüngst mit der Frage beschäftigt, ob ein Täter, der sein Opfer aus dem zweiten Stock stößt, mit einem Tötungsvorsatz handelt.
Während einer Party-Nacht im Jahr 2013 – die Stimmung war infolge Alkohol- und Kokainkonsums gelöst – feierten der Angeklagte und Geschädigter sowie zweit weitere Personen (A und B) in einer Wohnung. Sowohl der spätere Angeklagte als auch A fühlten sich von Person B angezogen. B trat aufgrund „transsexueller Neigungen“ als Frau auf und wurde als solche auch von dem Angeklagten und A wahrgenommen. Dies führte wiederum zu Eifersucht beim Tatopfer, der darauf hinwies, dass es sich bei B um einen Mann handele. In heftiger Wut griff der Angeklagte daraufhin das ihm körperlich unterlegene Tatopfer am Hemd, schob ihn in Richtung des geöffneten Fensters und stieß ihn heftig gegen den teilweise herabgelassenen Rollladen, welcher daraufhin zu Bruch ging. Das Opfer stürzte etwa sechs Meter in die Tiefe. Durch den Aufprall wurde sein Kopf nachhaltig stark geschädigt, er kann nur noch eingeschränkt sprechen und laufen. Der Geschädigte ist seit dem Tattag erwerbsunfähig und zur Bewältigung seines Alltags auf fremde Hilfe angewiesen.
Der Angeklagte wollte das Opfer durch den Stoß verletzen und ihn so „für die Täuschung über das Geschlecht (des B) und seine vorhergehenden Annäherungsversuche ihm gegenüber bestrafen“.
Das LG Halle stellte fest, dass der Angeklagte billigend in Kauf genommen habe, dass das Opfer einen Sturz wenn überhaupt nur schwerverletzt bzw. wahrscheinlich überhaupt nicht überleben würde. Es verurteilte den Angeklagten wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit schwerer und gefährlicher Körperverletzung nach §§ 226, 224 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren.
Im Rahmen der Revision sollte vor dem Bundesgerichtshof geklärt werden, ob der Angeklagte den nötigen bedingten Tötungsvorsatz hatte. Diesen hat nach ständiger Rechtsprechung, „wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und billigend in Kauf nimmt“. Die Formel enthält ein Wissens- sowie ein Willenselement: Beide Elemente müssen getrennt voneinander geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden, wobei eine Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Tatumstände vorzunehmen sei. Ein solcher Umstand sei eben auch die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung und die konkrete Angriffsweise des Täters, dessen psychische Verfassung bei Tatbegehung und Motivationslage.
Das Landgericht Halle habe jedoch nicht ausreichend dargelegt, auf welche Indizien es die Annahme des Vorsatzes gestützt hatte. Die Begründung des Urteils würde zwar insgesamt andeuten, dass das Landgericht „die Gefährlichkeit der Tathandlung und den Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts im Blick hatte“, jedoch vermisse der BGH die „gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände“.
Außerdem reiche es für die Annahme des bedingten Tötungsvorsatzes in Fällen spontaner, unüberlegter oder im Affekt erfolgter Handlungen nicht aus, dass der Täter die Gefahr des möglichen Todeseintritts kenne. Weiter müssten laut BGH auch die Besonderheiten, die sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergeben, Berücksichtigung finden. Hierzu würden im vorliegenden Fall etwa die Alkoholisierung und die daraus resultierende Enthemmung zählen. Zwar war der Angeklagte zur Tatzeit voll schuldfähig, dennoch könnte der Alkoholabusus einem bedingten Tötungsvorsatz entgegenstehen.
Das Tatopfer sollte für die Annäherungsversuche und seine – vom Angeklagten als solche wahrgenommen – Täuschung bestraft werden. Mit diesem Handlungsantrieb beschäftigte sich der BGH ebenfalls abschließend. Die Motivation sei allein dahingehend von Bedeutung, soweit diese „Rückschlüsse auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen“ ermögliche. Der Senat wirft außerdem ein, dass Täter, die mit einem bedingten Tötungsvorsatz handeln, regelmäßig über kein Tötungsmotiv verfügen. Außerdem sei gerade bei affektiven Taten oder solchen, die unter Alkoholeinfluss geschehen, eine differenzierte Prüfung des subjektiven Tatbestands notwendig.
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des LG Halle wegen versuchten Totschlags abschließend auf, weil der benötigte bedingte Tötungsvorsatz nicht allein auf Grundlage der objektiven Gefährlichkeit angenommen werden darf. Die Sache wurde an eine andere Strafkammer zurückverwiesen, die Feststellung zum äußeren Tatgeschehen blieben aufrechterhalten.
Der angeführte Fall zeigt, dass nur, weil ein Urteil dem prüfenden Blick des Bundesgerichtshofs nicht standhält und aufgehoben wird, das Ergebnis, zu dem die erstinstanzlichen Richter gekommen sind, nicht notwendigerweise falsch sein musste.
Der BGH selbst ließ die Strafkammer, an die der Sachverhalt nun verwiesen wurde, wissen, dass die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes hier nicht fernliege. Vielmehr geht es um Rechtsfehler in der Herleitung und Begründung des erstinstanzlichen Urteils, das den hohen Anforderungen an die Annahme des bedingten Vorsatzes nicht zu genügen vermochte.