Das sog. „Alleinrennen“ ist in § 315d Abs. 1 Nr. 3 des Strafgesetzbuches (StGB) normiert und war bislang Gegenstand vieler Debatten und Kritik. Nun befasste sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit der Norm und bestätigte die Vereinbarkeit des Straftatbestands mit der Verfassung.
Der § 315d StGB wird auch als „Raserparagraf“ bezeichnet, denn er sanktioniert genau solches (Fahr-) Verhalten. Viele haben das Gefühl, dass illegale Straßenrennen und grob verantwortungsloses Fahren zugenommen haben, welches nicht selten im Tod von Unbeteiligten endet. Diesem Verhalten will der § 315d StGB strafrechtlich entgegentreten und wurde im Jahr 2017 ins Strafgesetzbuch aufgenommen (Straßenrennen waren auch vorher zwar nicht erlaubt, wurden jedoch nur als Ordnungswidrigkeit geführt).
Er umfasst mehrere Tatvarianten: Das Ausrichten und die Durchführung von Straßenrennen als Veranstalter (§ 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB), die Teilnahme an Straßenrennen (§ 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB) sowie einen Auffangtatbestand in Nummer 3.
§ 315 Abs. 1 Nr. 3 StGB stellt solche Fahrten unter Strafe, die zwar nicht Teil eines Straßenrennens sind (da hierzu wenigstens zwei Leute gehören), sondern bei denen ein einzelner Fahrer sich über die höchstmögliche Geschwindigkeit hinwegsetzt.
Genau heißt es: „Wer im Straßenverkehr (…) sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (…)“
Dieser Wortlaut löste Kritik aus und führte zur Frage nach der Vereinbarkeit mit der Verfassung.
Die Kritik an § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB galt insbesondere der Bestimmtheit der Norm.
Ein kurzer Exkurs ins Verfassungsrecht: Der Bestimmtheitsgrundsatz ist eine Ausprägung des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips des Grundgesetzes und in Art. 103 Abs. 2 GG sowie § 1 StGB verankert.
Demnach kann eine Person nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Außerdem muss das Strafgesetz selbst hinsichtlich der Formulierung hinreichend bestimmt sein, also muss auch für Nicht-Juristen bereits anhand des Wortlauts erkennbar und verständlich sein, welches Verhalten hier unter Strafe gestellt wird.
Und hierin liege das Problem: So sei für den „normalen Bürger“ eben nicht eindeutig erkennbar, wann eine nicht angepasste Geschwindigkeit vorliege. Und worauf genau bezieht sich die Voraussetzung des „Höchstmöglichen“? Diese kann sich aus objektiven Merkmalen bestimmen oder vom Einzelfall abhängig sein.
Dass diese Bedenken durchaus gerechtfertigt sind, zeigen auch die unterschiedlichen Wertungen der genannten Begriffe durch die Rechtsprechung, die verschiedene Maßstäbe zur Beurteilung, ob § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB einschlägig ist, heranzieht.
So stellt das LG Stade (Beschl. v. 04.07.2018, Az. 132 Qs 112 88/18) beispielsweise auf einen rennähnlichen Charakter des „Alleinrennfahrers“ ab und sieht einen solchen dann erfüllt, wenn der Fahrer sein Fahrzeug an die technischen und physikalischen Grenzen bringt.
Das OLG Stuttgart (Beschl. v. 04.07.2019, Az. Rv 28 Ss 103/19) sah als Hauptkriterium hingegen das Erreichen der relativen Höchstgeschwindigkeit an, die vom jeweiligen Fahrzeug und der Situation abhängig ist. Um diese wiederum bestimmen zu können, wurden etwa die spezifische Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs, das subjektive Geschwindigkeitsempfinden des Fahrers, die Verkehrslage vor Ort sowie die Witterungsbedingungen herangezogen.
Auch das Amtsgericht Villingen-Schwenningen beschäftigte sich im Rahmen folgenden Falles mit dem „Alleinrennen“:
Der Angeklagte floh in seinem Auto vor einer drohenden Polizeikontrolle; er hatte keine Fahrerlaubnis. Auf der Flucht beschleunigte er auf bis zu 100 km/h, überfuhr mehrere rote Ampeln und verursachte einen Unfall, wodurch er auch von den Beamten festgenommen werden konnte.
Dem Fahrer sei es gerade darauf angekommen, unter Berücksichtigung der Verkehrslage und den Möglichkeiten seines Fahrzeugs, möglichst schnell zu fahren und so die Polizei abzuschütteln. Das AG stand nun vor der Frage, ob hier die Voraussetzungen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, insbesondere des Merkmals „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“, vorlagen.
Genau wegen oben bereits angeführter Unsicherheiten bezüglich der hinreichenden Bestimmtheit des Gesetzes legte das AG die Norm dem Bundesverfassungsgericht für eine konkrete Normkontrolle vor und setzte das Verfahren zunächst aus.
In seinem Beschluss vom 09.02.2022 (Az. 2 BvL 1/20) stellte das BVerfG fest, dass der Tatbestand unbeachtlich der Kritik sehr wohl hinreichend konkretisiert sei, damit dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG entspreche und verfassungsgemäß sei.
Zur Bestimmung der „höchstmöglichen Geschwindigkeit“ könnten die Gesetzesmaterialien herangezogen werden: Demnach müsste die Absicht des Täters darauf gerichtet sein, die unter den konkreten Straßen-, Sicht- und Witterungsverhältnissen höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Die Vorstellung des Täters, die -aus seiner Sicht- Höchstgeschwindigkeit zu erreichen, reiche also aus.
Außerdem sei diese Voraussetzung einer „methodengerechten Auslegung“ durch die Gerichte durchaus zugänglich. Auch muss die Absicht des Täters nicht allein auf das Erreichen der höchstmöglichen Geschwindigkeit gerichtet sein, weitere Motive, wie etwa die Flucht vor der Polizei, stünden der Verwirklichung des §315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht im Weg.
Das BVerfG legt den Schwerpunkt des „Alleinrennens“ also auf den subjektiven Tatbestand, der sich mit den „inneren Merkmalen und Vorstellungen“ des Täters innerhalb des Vorsatzes beschäftigt.
Wer Subjekt in einem Strafverfahren wird, sollte sich so schnell wie möglich anwaltlich beraten lassen. Der Strafrahmen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB beträgt bis zu 2 Jahren Haft oder Geldstrafe und stellt damit einen empfindlichen Eingriff in Ihre Freiheit dar.
Da hier insbesondere auf die Vorstellung des Täters abgestellt wird, sollten Sie sich als Beschuldigter keinesfalls zu ihren Vorstellungen, Absichten oder wie auch immer geartet gegenüber der Polizei einlassen und sich an einen auf das Strafrecht spezialisierten Anwalt wenden.