Wie aus einer alkoholisierten E-Roller Fahrt rund 80.100,00 € statt 1.500,00 € Strafe werden und weshalb es immer ratsam ist, einen Anwalt zu konsultieren, zeigt der aktuelle Fall des Tarek Müller besonders anschaulich.
Tarek Müller ist der Geschäftsführer der Modemarke „About You“. Er fuhr im November des letzten Jahres E-Roller in betrunkenem Zustand (1,3 Promille) und wurde hierbei von der Polizei erwischt. Als Konsequenz erwartete ihn ein Strafbefehl wegen Trunkenheit im Verkehr, denn auch E-Roller werden als Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr gewertet. Die Geldstrafe belief sich auf 1.500 € und setzte sich aus 30 Tagessätzen zu je 50 € zusammen.
Hiergegen legte Herr Müller Einspruch ein.
So ging das anfängliche Strafbefehlsverfahren doch den Gang in die Hauptverhandlung, in dessen Rahmen das Amtsgericht Hamburg die tatsächlichen finanziellen Umstände von Müller feststellte. Diese hatte das AG vorher nur geschätzt, da dem Gericht bei Erlass eines Strafbefehls nur die von der Staatsanwaltschaft übermittelten Informationen vorliegen und eine mündliche Verhandlung nicht stattfindet.
So stellte das Gericht eine Tagessatzhöhe von nunmehr 2.670 € fest, welche die anfängliche Schätzung um ein Vielfaches übertraf und die Geldstrafe auf 80.100 € steigen ließ – immerhin 78.600 € mehr als der Strafbefehl forderte.
Im Übrigen wurde auch der Einspruch von Müller am 26. Juli 2022 verworfen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Der Fall Tarek Müller zeigt, wie wichtig es ist, anwaltlichen Rat einzuholen, selbst wenn es sich „nur“ um einen Strafbefehl handelt. Denn hier ist das Risiko für den Betroffenen ohne anwaltlichen Beistand besonders hoch:
Das Gericht prüft im Hauptverfahren den Sachverhalt tiefgehender, weshalb vor dem Einlegen des Einspruchs die Aussicht auf ein milderes Urteil für den Angeklagten juristisch geprüft werden müssen.
Es sollte also abgewogen werden, ob der Strafbefehl in seiner Form hinnehmbar ist oder ob sich der Gang in die Hauptverhandlung mit all ihren finanziellen und persönlichen Belastungen wirklich lohnt. Dies kann in bestimmten Konstellationen durchaus der Fall sein, insbesondere wenn die Wahrscheinlichkeit überwiegt, dass das Hauptverfahren rehabilitierend wirkt.
Jedoch sollte kein Betroffener diese Entscheidung alleine und ohne juristischen Rat treffen.
Der Strafbefehl stellt eine Art „Abkürzung“ des Verfahrens dar.
Bei einem Strafbefehlsverfahren wird nach einer Strafanzeige der sog. Strafbefehl erlassen. Dieses vereinfachte Verfahren soll die Justiz entlasten und bei der Bewältigung leichterer Kriminalität helfen. Auch dem Betroffenen bleibt hierdurch die Anstrengung eines Hauptverfahrens erspart, Vorteile können für diesen insbesondere in der Schnelligkeit und Kostentransparenz des Strafbefehlsverfahrens liegen.
Mit dem Strafbefehl können bestimmte Rechtsfolgen wie Geldstrafen nach § 40 StGB, die Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 StGB, das Fahrverbot gem. § 44 StGB und die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB festgelegt werden. Auch kann nach § 60 StGB gänzlich von einer Strafe abgesehen werden. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch die Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr möglich.
Ein Strafbefehlt kann von der Staatsanwaltschaft beantragt werden, wenn diese eine öffentliche Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält. Der Strafbefehl wird durch einen Richter erlassen, wenn er nach der Prüfung der entsprechenden Akte ebenfalls zur Überzeugung kommt, dass es einer Hauptverhandlung aufgrund der Simplizität des Falles nicht bedarf. Der Richter kann den Erlass allerdings auch ablehnen, wenn er keinen hinreichenden Tatverdacht beim Angeschuldigten sieht.
Hat der Richter jedoch während des Strafbefehlsverfahrens bedenken, ohne die Tiefe einer Hauptverhandlung keine Entscheidung treffen zu können, kann er immer noch eine solche anberaumen. Außerdem hat er die Möglichkeit, von der durch die Staatsanwaltschaft beantragten Strafe abzusehen bzw. diese abzuändern. Hier wird der Staatsanwaltschaft jedoch die Möglichkeit zur Stellungnahme und ggf. Anpassung des Strafbefehls eingeräumt.
Andersherum kann nach Anklageerhebung oder nach Eröffnung des Hauptverfahrens auch ein Wechsel zum Strafbefehlsverfahren stattfinden.
Auch hat der Angeklagte die Möglichkeit, binnen zwei Wochen Einspruch gegen den Strafbefehl einzulegen und so ein Hauptverfahren zu erzwingen. Der Einspruch kann entweder schriftlich erfolgen oder zu Protokoll bei der Geschäftsstelle des Gerichts gegeben werden. Hier besteht allerdings das Risiko, dass durch die nähere Prüfung des Sachverhalts im Hauptverfahren die Strafe nach oben korrigiert wird, was der dargestellte Fall Tarek Müller beweist.
Wird kein Einspruch eingelegt, so steht der Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleich.
Tarek Müller hätte sich wohl 78.600 € sparen können, hätte er einen Anwalt konsultiert und keinen Einspruch eingelegt, sondern den Strafbefehl so hingenommen. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Hinnahme eines Strafbefehls in jedem Fall ratsamer ist als ein Einspruch, es soll vielmehr betont werden, dass es auf den Einzelfall ankommt und jeder Sachverhalt juristisch geprüft und die hiermit verbundenen Risiken abgewogen werden müssen. Unabhängig davon, ob es sich um einen „kleinen“ Strafbefehl, eine Vorladung von der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft oder eine anstehende Hauptverhandlung handelt.