Ein simples Fahrmanöver, dass im Notfall über Leben und Tod entscheidet: Autobahnfahrer der linken Seite müssen möglichst weit links fahren, die Fahrer der (beiden) rechten Spur(en) fahren entsprechend weit nach rechts. Im Idealfall bildet sich so eine kleine Bahn zwischen den Autofahrern, die es Rettungsfahrzeugen ermöglicht, durch den Stau durch und hin zum Unfallort zu gelangen. Gesetzlich ist die sog. Rettungsgasse in § 11 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelt.
Diese Frage beantwortete das Landgericht Hamburg in einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 18.02.2022 – 306 O 471/20). Kurz: Nein.
Eine „Rettungsgasse“ ist nach § 11 Abs. 2 StVO auf Autobahnen und Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung zu bilden. Diese Vorschrift gilt jedoch nicht für den innerstädtischen Verkehr.
Doch was war passiert? Der Kläger war ein Pkw-Fahrer, der den Schaden an seinem Auto ersetzt haben wollte. Dieser entstand durch einen Verkehrsunfall mit der Beklagten, einem Rettungswagen, im Jahr 2018.
Der Kläger hielt innerorts vor einer Kreuzung als erster an der roten Ampel. Die Straße bestand aus zwei entgegensetzte Fahrbahnen mit jeweils zwei Fahrstreifen, die durch eine zur Kreuzung hin breiter werdenden schraffierten Sperrfläche getrennt sind. In Höhe der Haltelinie hat die Sperrfläche circa die Breite eines Fahrstreifens und wird links von einer Verkehrsinsel begrenzt. Hinter dem Kläger sowie auf dem rechten Streifen standen weitere Autos.
Nun näherte sich der Funkstreifenwagen mit Blaulicht und Martinshorn der Kreuzung von hinten und überholte die vor ihm befindlichen Fahrzeuge linksseitig, was aufgrund des ausreichenden Platzes des Sperrstreifens möglich war. In der Annahme, eine Rettungsgasse bilden zu müssen, fuhr der Kläger jedoch ebenfalls nach links auf die Sperrfläche, wodurch es zu einer Kollision mit dem Rettungswagen kam. Das Fahrzeug des Klägers wurde im linken Seitenbereich beschädigt, der Funkstreifenwagen vorne rechts.
Der Kläger brachte vor, dass er den Funkstreifenwagen in etwa 800 Metern Entfernung gesehen habe, dieser jedoch keine Anstalten gemacht habe, nach links zu fahren, sondern sich vielmehr auf der eigentlichen Fahrbahn befunden habe, weshalb der Kläger – nach Blick in den Spiegel und hinter die Schulter – nach links gefahren sei, um so „mittig“ Platz zu machen. Plötzlich sei der Rettungswagen dann doch über die Sperrfläche, mit einem äußerst geringen, nicht ausreichenden Seitenabstand an seinem Fahrzeug vorbeigefahren und es kam zu dem Unfall. Der Kläger ist der Meinung, die Beklagte müsse vollumfänglich für den Schaden haften, da die gebildete Rettungsgasse nicht genutzt wurde.
Dem widerspricht die Beklagte. Der Fahrer des Funkstreifenwagens begab sich bereits ca. 100 Meter vor der Ampel auf die Sperrfläche, um die dort wartenden Autos zu umfahren. Der Kläger habe wiederum plötzlich nach links gezogen und ein Aufprall konnte trotz sofortigen Bremsens nicht verhindert werden. Die Beklagte räumt eine anteilige Haftung für den Schaden von maximal 30 % ein.
Das Landgericht entschied, dass die Klage des Autofahrers nur teilweise begründet sei. Das Gericht stellt insbesondere fest, dass der Kläger gegen seine Pflichten aus § 38 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßen habe:
Er hätte dem sich mit Sonderzeichen nähernden Funkstreifenwagen „freie Bahn“ verschaffen sollen; eine Rettungsgasse sei innerorts nicht geboten, sondern nach § 11 Abs. 2 StVO nur auf Autobahnen und Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung zu bilden. Bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt hätte der Kläger ohne weiteres feststellen können – und müssen - dass er eben nicht nach links ausscheren darf, da sich dort bereits der Rettungswagen befand.
Halten wir also fest: Naht innerorts ein Fahrzeug mit Sonderzeichen, so begrenzen sich die Pflichten der anderen Verkehrsteilnehmer darauf, dem Funkstreifenwagen Platz zu machen! Außerorts und auf Autobahnen muss dann jedoch eine Rettungsgasse gebildet werden.
Das Nichtbilden einer Rettungsgasse sowie das unberechtigte Nutzen dieser ist ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Ein Überblick über die drohenden Sanktionen:
Bußgeld in Euro | Punkte | Fahrverbot in Monaten | |
Nichtbilden einer Rettungsgasse | 200 | 2 | 1 |
Mit Behinderung: | 240 | 2 | 1 |
Mit Gefährdung: | 280 | 2 | 1 |
Mit Sachschaden: | 320 | 2 | 1 |
Unberechtigtes Nutzen der Rettungsgasse | 240 | 2 | 1 |
Mit Behinderung: | 280 | 2 | 1 |
Mit Gefährdung | 300 | 2 | 1 |
Mit Sachbeschädigung: | 320 | 2 | 1 |
Ihre Mobilität, deren Erhalt in jedem Fall im Raume steht, wenn Sie sich mit Vorwürfen in Verbindung mit der Rettungsgasse konfrontiert sehen, hat höchste Priorität. Wir sind auf das Verkehrsrecht spezialisiert und raten, sich spätestens nach Erhalt eines Bußgeldbescheids sofort anwaltliche Hilfe zu holen!