Vor dem Landgericht Gießen hat nun am 13. Juni 2023 der Prozess gegen den 30-jährigen Jan P. begonnen. Ihm wird vorgeworfen, die zum Tatzeitpunkt 14-jährige Ayleen ermordet zu haben. Der Mordfall der jungen Schülerin erregte großes öffentliches Interesse und große Anteilnahme, nachdem die Leiche der Vermissten im hessischen Teufelsee gefunden und mehr Details zur Tat bekannt wurden.
Angeklagt wird der mutmaßliche Täter Jan P. wegen Mordes, versuchter Vergewaltigung mit Todesfolge und Nötigung. In seiner ersten Vernehmung hatte der damals Tatverdächtige und nun Angeklagte eingeräumt, die Schülerin am 21. Juni 2022 getötet zu haben.
Grund hierfür soll ein Streit gewesen sein. Auch am ersten Verhandlungstag ließ der Angeklagte eine Erklärung durch einen seiner Anwälte verlesen, in der er die Tötung erneut gestand. Während er Ayleen in ihrem Heimatort Gottenheim (Kreis Breisgau-Hochschwarzland) abgeholt hat und mit ihr nach Hessen fuhr, soll es zu einem Zerwürfnis gekommen sein, in dem ihn die 14-Jährige provoziert und beleidigt habe. Daraufhin habe er sie getötet. Die Darstellung des Angeklagten sei jedoch nicht mit den Ergebnissen der Ermittlungen zu vereinbaren, so der Gießener Staatsanwalt Thomas Haubuger. Diese legen eine sexuell motivierte Tötung nahe.
Der Angeklagte habe das Opfer unter Anwendung psychischen Drucks zum Einsteigen in sein Auto bewegt: Er soll Ayleen mit der Veröffentlichung ihrer intimen Bilder erpresst und mit der Ankündigung, ihre Familienmitglieder zu töten, wenn sie nicht einsteige, bedroht haben. In einem Waldstück bei Langgöns-Cleeberg in Hessen angekommen, versuchte Jan P. sie zu vergewaltigen, so die Anklage. Als der Versuch scheiterte habe er sie erwürgt und ihren Körper im See versenkt.
Die Schülerin soll den Angeklagten im Internet über die Plattform Snapchat kennengelernt haben. Mit Blick auf die Kommunikation stand der Angeklagte deutlich im Vordergrund, teilweise seien rund 800 Nachrichten täglich ausgetauscht worden, von denen viele einen stark sexualisierten Inhalt hatten. Entgegen der Aussage von Jan P., das Opfer habe seine Nähe gesucht, soll aus den Chats hervorgehen, dass Ayleen keinerlei Interesse daran hatte, mit dem Angeklagten intim zu werden.
Ayleen wurde am Abend des 21. Juli 2022 von ihrer Mutter als vermisst gemeldet, die Polizei suchte mit Hunden und Hubschraubern nach ihr – ergebnislos. Im Zuge der Ermittlung wurden über 30.000 Chat-Nachrichten ausgewertet, 122 Zeugen vernommen und rechtsmedizinische sowie kriminaltechnische Gutachten eingeholt.
Neben der Identität des damals 29-Jährigen brachten die Mobilfunkdaten auch den entscheidenden Hinweis zum Aufenthalt der Vermissten: Die Auswertung der Standortangaben führte die Ermittler nach Hessen, wo durch Analyse des Bewegungsprofils ein längerer Aufenthalt am Teufelsee nachgewiesen werden konnte. Der Gießener Staatsanwalt gibt im Interview mit der FAZ an, dass man ohne die Geodaten wohl nur erschwert oder nie auf den Ablageort des Opfers gestoßen wäre. Der See wurde daraufhin mit einem Polizeihubschrauber überflogen und am 29. Juli der leblose Körper von Ayleen gefunden. Noch am selben Tag wurde der Tatverdächtige festgenommen. Dieser schwieg zunächst, räumte dann in einer Vernehmung am 02. September die Tötung der Schülerin ein.
Jan P. wurde bereits als Jugendlicher wegen eines versuchten Sexualdelikts verurteilt und für zehn Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Bis Anfang 2022 befand sich der Angeklagte in einem Programm für rückfallgefährdete Sexualstraftäter unter Führungsaufsicht. Gegen ihn sollen außerdem drei Strafanzeigen aus dem ersten Halbjahr 2022 wegen sexueller Belästigung und versuchter Nötigung vorliegen.
Bis September 2023 sind insgesamt 15 Verhandlungstage angesetzt.
Im Fall Ayleen wird dem Angeklagten der Morde zur Befriedigung des Geschlechtstriebs und mit Verdeckungsabsicht vorgeworfen. Bei der zu verdeckenden Straftat könnte es sich vorliegend um die (versuchte) Vergewaltigung gehandelt haben.
Doch was unterscheidet den Mord vom Totschlag?
Entgegen der weiteverbreiteten Auffassung, Mord und Totschlag würden sich hinsichtlich des Vorsatzes (Totschlag geschehe „aus Affekt“ und Mord sei „geplant“) unterscheiden, handelt es sich bei beiden Straftatbeständen um vorsätzliche Delikte, die jedoch nach dem Vorliegen der sog. Mordmerkmale abzugrenzen sind. Die in § 211 StGB (Strafgesetzbuch) aufgezählten Merkmale lassen sich in drei Gruppen einteilen. Zur ersten Gruppe (täterbezogene Merkmale) zählt der Mord aus Habgier, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Mordlust oder sonstigen niedrigen Beweggründen. Die zweite Gruppe (tatbezogene Merkmale) umfasst die Heimtücke, den grausamen Mord und den Mord mit gemeingefährlichen Mitteln. Zur letzten Gruppe (ebenfalls täterbezogen) gehört die Ermöglichungs- sowie die Verdeckungsabsicht.
In Anbetracht solcher tragischen und emotional aufwühlenden Fälle wie dem von Ayleen, lehnen viele Menschen aus einem ersten Impuls heraus den Beruf des Strafverteidigers ab, finden diesen vielleicht sogar moralisch verwerflich.
Doch die Verteidigung des Angeklagten ist ein essenzieller Bestandteil unseres Rechtsstaats. Die Unschuldsvermutung, nach der die Schuld des Angeklagten positiv bewiesen werden muss, gehört zu einer der Säulen, auf die sich unser Rechtsstaat schützt. Bis die Schuld nicht nachgewiesen wird, gilt der Angeklagte als unschuldig. Die Person, die wir Strafverteidiger vor Gericht vertreten, ist bis zum rechtskräftigen Urteil also nur Tatverdächtiger und kein verurteilter Täter.
Strafverteidigung sorgt außerdem für „Waffengleichheit“ vor Gericht: Die Staatsanwaltschaft und die Richterinnen und Richter sind in der Regel herausragende Juristen mit jahrelanger Erfahrung auf ihrem Gebiet, der Strafprozess und das Gesetz sind ihr tägliches Handwerkzeug, sie kennen die Strafprozessordnung (StPO) wohl wie kein zweiter.
Demgegenüber steht der fachfremde Angeklagte, der in Verfahren vor dem Amtsgericht noch nicht einmal anwaltlich vertreten werden muss und in der Regel einer hohen emotionalen Belastung ausgesetzt ist.
Dieses Defizit kann nur durch die rechtsanwaltliche Verteidigung des Betroffenen ausgewogen werden. Denn nicht die Tat an sich wird verteidigt, sondern die Grund- und Menschenrechte des Angeklagten.