Ein Sachverhalt, der vom Strafgesetzbuch bis tief ins Strafprozessrecht reicht und so schnell wohl kein Ende hat. Die Historie des Falls um den Sänger Gil Ofarim im strafrechtlichen Kontext soll in diesem Beitrag näher beleuchtet werden.
Ofarim erhob am 04. Oktober 2021 schwere Vorwürfe gegen einen Mitarbeiter eines Leipziger Hotels, die er auf einem Video festhielt und auf Instagram teilte. Ofarim wurde nach eigenen Angaben Opfer antisemitischer Anfeindungen, während er bei der Rezeption wartete. Konkret soll ihn ein Mitarbeiter des Leipziger Hotels aufgefordert haben, seine Kette mit dem Davidstern abzunehmen, um in sein Zimmer einchecken zu können. Das Video ging viral und Ofarim kam eine Welle an Mitgefühl und Bestürzung entgegen.
Doch schnell wurde klar, dass sich diese Ereignisse nicht wie geschildert haben ereignen können: Auf einem Überwachungsvideo sei klar zu erkennen gewesen, dass der Mitarbeiter die fragliche Kette gar nicht hätte sehen können, da sich diese unter Ofarims Oberteil befand.
Der betroffene Mitarbeiter erstattete Anzeige gegen Ofarim und die Leipziger Staatsanwaltschaft sah nach ihren Ermittlungen einen hinreichenden Tatverdacht bezüglich der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) in zwei Fällen, einer hiervon in Verbindung mit Verleumdung (§ 187 StGB), gegeben. Sie erhob Anklage.
Die Anklage wurde vom Landgericht (LG) Leipzig zugelassen (Beschl. v. 15.09.2022, Az. 6 KLs 607 Js 56884/21) und der Beginn der Hauptverhandlung wurde auf den 24. Oktober 2022 terminiert – eigentlich.
Bei dem ein oder anderen Leser mag die Tatsache, dass die Hauptverhandlung vor dem Landesgericht und nicht dem Amtsgericht stattfindet, Fragen aufwerfen.
Denn sowohl die falsche Verdächtigung als auch die Verleumdung sind Vergehen und keine Verbrechen, werden daher grundsätzlich vor dem Amtsgericht verhandelt.
Warum handelt es sich bei den beiden Tatbeständen um Vergehen? Von einem Verbrechen spricht man nur dann, wenn die Minimalstrafe des Tatbestandes ein Jahr Freiheitsstrafe beträgt. Wird ein Delikt hingegen mit einer geringeren Minimalstrafe wie etwa Geldstrafe bedroht, so handelt es sich hierbei um ein Vergehen. Dies ist auch in § 12 StGB nachzulesen.
Warum wird im vorliegenden Fall trotzdem vor dem Landgericht verhandelt? Dies führte das LG auf die besondere Bedeutung des Falls zurück. Ofarims Anwalt kommentierte diese Entscheidung jedoch mit dem Vorwurf, es handele sich hierbei um einen angestrebten „Schauprozess“.
Die – neu hinzugekommenen – Verteidiger von Ofarim kritisieren, wie bereits erwähnt, die Zulassung der Klage vor dem Landgericht scharf und wehrten sich hiergegen mithilfe eines Befangenheitsantrags. Weitere würden folgen.
Die im Sommer hinzugezogenen Strafverteidiger Ofarims gehen davon aus, dass die Zulassung der Anklage nach § 29 Abs. 1 StPO (Strafprozessordnung; Verfahren nach Ablehnung eines Richters) unwirksam sei. Grund hierfür: Als die Entscheidung über die Eröffnung der Hauptverhandlung fiel, durfte – nach Meinung der Verteidiger – der Vorsitzende Richter der Kammer gar nicht an dieser mitwirken, da gegen ihn ein Befangenheitsantrag am 13. September 2022 vorgebracht wurde, der bis heute nicht entschieden wurde. Der Vorsitzende Richter sollte abgelehnt werden, da dieser sinngemäß äußerte, dass er sich alltäglichen Antisemitismus in einem „hochklassigen Hotel“ schwer vorstellen könne.
Gegenüber der LTO (Legal Tribune Online) äußerte sich das Leipziger Landgericht hierzu wie folgt: Der Pressesprecher gab an, dass durchaus über den ersten und zweiten Befangenheitsantrag entschieden und diese als unbegründet zurückgewiesen wurde – und das bereits vor der Entscheidung über die Anklagezulassung. Über den dritten Befangenheitsgesuch wurde jedoch nichts gesagt.
Der Knackpunkt liegt also in der Frage, ob die Anklagezulassung, bei der ein abzulehnender Richter, über dessen Befangenheit noch nicht entschieden wurde, an dieser hätte partizipieren dürfen oder nicht.
Neben der Kritik zur Zulassung der Anklage wurde auch die Kommunikation des Landgerichts bemängelt. Der vierte Befangenheitsantrag von Ofarims Verteidigern stützte sich auf die vermeintliche Bloßstellung ihres Mandanten in der Öffentlichkeit sowie das willkürliche Versagen rechtlichen Gehörs. Beispielsweise sei die Entscheidung über die Zulassung der Anklage per Post gekommen, wodurch die Verteidiger dieser erst zwei Tage nach der veröffentlichten Pressemittelung erhalten hatten und dem Angeklagten die Möglichkeit verwehrt wurde, Beschwerde gegen die Ablehnung der Befangenheitsgesuche zu erheben. Alle vorherige Kommunikation sei hingegen per Fax geschehen. Jedoch sei der postalische Versand aufgrund der Möglichkeit einer förmlichen Zustellung das übliche Vorgehen, so das LG Leipzig.
Gegen die Ablehnung der zwei Befangenheitsanträge legten die Verteidiger sofortige Beschwerde ein, über die nun das Oberlandesgericht Dresden entschied. Mit Beschluss vom 14. Oktober 2022 (Az. 1 Ws 238/22) verwarf das Oberlandesgericht Dresden die Beschwerde über die Ablehnung der Befangenheitsgesuche als unzulässig.
Das Landgericht Dresden teilte in seiner Pressemitteilung mit, dass sich der Beginn der Hauptverhandlung auf unbestimmte Zeit verschieben werde und ließ es sich nicht nehmen, insbesondere die im August 2022 hinzugetretenen Strafverteidiger von Ofarim pointiert zu erwähnen. Diese würden den ursprünglichen Verhandlungsbeginn verhindern, obwohl dieser mit den vorherigen Verteidigern bereits abgestimmt war. Außerdem regte das Landgericht an, in der Zeit bis zum Beginn der Hauptverhandlung innezuhalten und über einen möglichen Täter-Opfer-Ausgleich nach §§155a StPO, 46a StGB wenigstens hinsichtlich der Verleumdung nachzudenken.
Des Weiteren wurde bekannt, dass der Nebenkläger, der anfangs beschuldigte Hotelmitarbeiter, einen Antrag auf Adhäsion stellt: Das Adhäsionsverfahren verfolgt den Zweck, über eigentlich dem Zivilrecht vorbehaltene Schadensersatzansprüche (wie Schmerzensgeld) innerhalb des Strafprozesses zu entscheiden.
Die Strafverteidiger von Ofarim teilten kürzlich auf Anfrage mit, dass sie sich umgehend mit einem Eilantrag an das Bundesverfassungsgericht wenden wollen. Es bleibt also auch juristisch spannend.
Der Fall Ofarim vermittelt wie kaum ein zweiter welche materiell- und prozessrechtlichen Fragen und Herausforderungen aus einem einzelnen Vorwurf erwachsen können und dass sich ein Sachverhalt, so eindeutig er anfangs auch scheint, durch entsprechende Aufklärung um 180 Grad wenden kann.
Vor wenigen Wochen begann der Strafprozess gegen Gil Ofarim wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung. Der damalige Hotelmanager trat als Nebenkläger auf. Auslöser war ein Video Ofarims aus dem Herbst 2021, in welchem er dem Hotelmitarbeitern Antisemitismus vorwarf: Maßgeblich hierfür war die laut Ofarim offen getragene Davidstern-Kette, welche aber laut Mitarbeitern des Hotels gar nicht zu sehen war. Der Hotelmanager habe gesagt, dass Ofarim erst „seinen Stern einpacken sollen“, um im Hotel einchecken zu können.
Nach weiteren Ermittlungen wurde für die Staatsanwaltschaft klar, dass sich das Geschehen nicht so zugetragen haben kann wie von Ofarim behauptet; sie erhob Anklage gegen ihn.
Am 28. November 2023 wurde das Verfahren nun nach § 153a StPO gegen eine Zahlung von 10.000 Euro eingestellt (LG Leipzig, Beschl. v. 28.11.2023, Az. 6 KLs 607 Js 568832/21). Ofarim räumte die Vorwürfe ein, diese „treffen zu“ und auch eine Entschuldigung an den Hotelmanager wurde ausgesprochen. Das Video, welches sich rasch in den sozialen Netzwerken verbreitet hat, wurde vom Angeklagten gelöscht.