Um das Handy eines Beschuldigten zu entsperren, hielten Polizeibeamte ihn fest und legten seinen Finger unter Zwang auf den Sensor des Geräts. Die Ermächtigung hierzu folgt aus §81b Abs. 1 StPO, so das OLG Bremen.
Kläger ist ein Mann, dessen Wohnung im Februar 2023 von der Polizei durchsucht worden war. Er stand im Verdacht, kinderpornografische Schriften zu verbreiten (§ 184n Abs. 1 StGB). Zunächst behauptete der Beschuldigte, über kein funktionierendes Handy zu verfügen, bis die Beamten dann ein klingelndes Smartphone entdeckten. Er lehnte es ab, das Handy mittels Fingerabdrucks zu entsperren und unternahm stattdessen einen Fluchtversuch. Um ihn daran zu hindern, griffen die Polizeibeamten nach dem Arm des Mannes, der daraufhin um sich schlug und sich wegdrehte. Auch nach mehrfachem Auffordern weigerte er sich weiterhin, das Handy zu entsperren. Die Beamten brachten ihn schließlich zu Boden, fixierten ihn und entsperrten sein Smartphone, indem sie seinen Finger unter Zwang auf den Sensor legten.
Als erstes beschäftigte sich das AG Bremerhaven mit dem Fall und verurteilte den Mann wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe; das Landgericht Bremen bestätigte diese Entscheidung.
Der Angeklagte legte daraufhin Revision ein. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist nach § 113 Abs. 3 StGB dann nicht strafbar, wenn die Diensthandlung selbst nicht rechtmäßig gewesen ist. Auf diese – seiner Auffassung nach – unzulässige Handlung der Polizeibeamten stützte der Angeklagte seine Argumentation. Konkret sei er durch das Selbstbelastungsverbot des Strafrechts nicht verpflichtet gewesen, an der Entsperrung seines Handys mitzuwirken. Außerdem hätten die Beamten andere Maßnahmen ergreifen müssen, wie etwa die Sicherstellung des Mobiltelefons oder eine Prüfung der Eigentumsverhältnisse.
Jetzt hat sich erstmalig ein Oberlandesgericht mit diesem Sachverhalt beschäftigt und den vorangegangenen Entscheidungen der Amts- und Landgerichte angeschlossen (Beschl. v. 08.01.2025, Az. 1 ORs 26/24):
Das Vorgehen der Polizei sei rechtmäßig gewesen und die Ausnahme in §113 Abs. 3 StGB nicht einschlägig, so das OLG Bremen. Das (zwanghafte) Auflegen des Fingers zum Entsperren des Handys ließe sich auf § 81b Abs. 1 StPO (Erkennungsdienstliche Maßnahmen bei dem Beschuldigten; Lichtbilder und Fingerabdrücke gegen dessen Willen) stützen; hierüber sei in der Rechtsprechung mehrfach entsprechend entschieden worden und auch die Literatur stimme hier überwiegend überein.
§ 81b Abs. 1 StPO gestatte demnach nicht nur die genannten Maßnahmen, namentlich die Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken, sondern aufgrund der technikoffenen Formulierung ebenfalls die „Vornahme einer ähnlichen Maßnahme“. Als eine solche, ähnliche Maßnahme stuft das OLG das zwanghafte Auflegen des Fingers auf den Fingerabdrucksensor ein.
Die Vornahme einer „ähnlichen Handlung“ stelle außerdem einen noch geringeren Eingriff als die explizit genannten Handlungen, wie das Nehmen von Fingerabdrücken, dar:
Bei der Abnahme von Fingerabdrücken ist das Speichern und Verarbeiten dieser Daten erlaubt. Im Gegensatz dazu handelt es sich beim Auflegen des Fingers auf den Handysensor um eine einmalige Verwendung, ohne dass also eine dauerhafte Speicherung erfolgt. Daher sei die Anwendung unmittelbaren Zwangs für diese einmalige Verwendung des Fingerabdrucks von § 81 Abs. 1 StPO gedeckt, so das OLG.
Auch hat sich das Oberlandesgericht mit der grundrechtlichen Perspektive auseinandergesetzt und festgestellt, dass die zwangsweise Entsperrung des Handys verfassungskonform sei. Im polizeilichen Handeln liege zwar ein Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG, der jedoch nur von geringer Intensität war und daher gerechtfertigt sei. Weiter werde auch das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme als besondere Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) berührt. Schließlich könnten sich auf dem Handy Daten befinden, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen. Jedoch betonte das OLG Bremen, dass es sich im vorliegenden Fall um einen offenen und eben nicht heimlichen Zugriff handelte. Die Rechtfertigung eines solchen Grundrechtseingriffs unterliege nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts höheren Maßstäben.
Das OLG Bremen bestätigte außerdem das Vorliegen der Verhältnismäßigkeit: Durch das zwangsweise Auflegen des Fingers auf den Sensor könne die Aufklärung des Tatvorwurfs der Verbreitung kinderpornografischer Schriften weiter vorangebracht werden, außerdem wäre die Anfertigung einer Fingerabdruck-Attrappe als alternative Maßnahme mit einer Datenspeicherung des Mannes verbunden gewesen und hätte somit ein eingriffsintensiveres Mittel dargestellt als die vorliegende Handlung der Polizeibeamten es tat. Schließlich sei die Maßnahme auch hinsichtlich ihrer Bedeutung auf die zu schützenden Rechtsgüter angemessen gewesen, der Eingriff in die Grundrechte des Mannes trete im Vergleich zu diesen zurück.
Ob das Entsperren durch Fingerabdruck oder die Gesichtserkennung: Das Strafrecht erstreckt sich in viele Winkel des täglichen Lebens, die jedoch erst dann – rechtlich – relevant werden, wenn man sich plötzlich als Beteiligter in einem Strafverfahren wiederfindet.